Freitag, April 14, 2006

"Dear Wendy" - Dandyismus


"Officer d-d-down, I'm afraid ..."

Sehr leichte Spoiler !?!?

Nein.
DEAR WENDY ist trotz der vielen kritischen Worte nicht zu einem reinen Anti-Amerika-Plagiat verkommen. Und Mensch, was hätte man alles falsch machen können wenn es um ein so heikles Thema geht wie Pazifismus, Waffen und Jugendliche. Doch das Gespann Vinterberg und von Trier scheinen gar keine Hürden zu besitzen: Trier legt vor, Vinterberg verpackt das ganze. Das Resultat ist mehr als sehenswert geworden.

Vinterberg's Dandies stehen für eine ganze Generation. Es sind zum einen jene die sich von ihrer Umwelt falsch verstanden fühlen und zum anderen eben genau die, denen es an Selbstbewusstsein mangelt und die ihre Phantasie zum tragenden Ort machen. Auch die Dandies bauen sich ihr eigenes kleines Universum auf. Doch es gleicht einem Glaskasten und ist von vornherein dazu verurteilt zu zerbrechen. Das, und vor allem wie alles am Ende eskaliert, zeichnet sich tragischer Weise schon sehr früh ab.


Es ist vielleicht der Aspekt an der komplexen Geschichte der mich am meisten fesseln konnte. Wie schon vor Jahrzehnten in "Saló", geht es hier unter anderem um die "Perversion oder Macht". Es sind die Waffen, die sie alle stärker machen. Es ist die Macht in ihren Händen, die ihnen das neue Selbstbewusstsein gibt und sie denken lässt das Loosertum wäre gefallen. Und so sehr sie es alle leugnen, ist es keine Sekunde eine andere Kraft als die über ein Menschenleben zu richten. Es gibt keinen Schritt von der Zielscheibe zum Menschen. Das wird uns unaufdringlich nahe gelegt, als wir sehen um was es im Finale geht. Banaler könnte ein Grund für eine derartige Eskalation nicht sein. Doch auf dem Weg zum "sicheren" Ende, stellt man schnell fest, das es schon lange nicht mehr darum geht eine alte, ängstliche Frau zu ihrer Tochter zu eskortieren. So stark wie nie zu vor stehen Ehre und Akzeptanz im Vordergrund. Und genau darum geht es doch in unserer Gesellschaft! Ich bin mir längst nicht mehr sicher ob es die Waffen waren, die unsere Dandies in das Verderben stürzten, oder der Wunsch nach Anerkennung.

Die spielerische Inszenierung untermauert die vorherrschenden Gefühle. Wehrend Dick und seine Kumpanen zu Beginn noch unter der Oberfläche agieren, trauen sie sich irgendwann aus ihrem Versteck heraus. Diese gesellschaftlichen Aspekte hätten einiges an emotionaler Kraft verloren, hätte Vinterberg sie nicht so großartig und meist sehr subtil verflochten. Der Mann versteht sein Handwerk. Obwohl sich die Erzählung Zeit für wichtige Details nimmt, bleibt die doch immer locker, peppig und stylish, ...oder eben "dandy". Gerade das Final, wirklich furios, bietet ein Feuerwerk an Ideenreichtum. Die unverbrauchten Gesichter erledigen den Rest. Natürlich Jamie Bell (einer der Newcomer der letzten 2 Jahre) klasse. Aber der restliche Cast vermochte noch viel mehr zu begeistern. Ich denke da vor allem an Alison Pill alias "Susan", die schon in "Pieces of April" eine verdammt gute Figur macht. Aber auch Chris Owen und vor allem Mark Webber, bekannt aus seichten Filmchen wie "Snow Day" und "Boiler Room", fahren hier das ein oder andere darstellerische Geschütz auf. Keine Sekunde wird gezweifelt: DAS sind die Dandies, und niemand sonst.


Zudem kann man DEAR WENDY nicht auf eine Markierung alleine schieben. Es ist eine Mischung aus "Coming-of-Age", Jungenddrama, Westernhommage, Freundschaft und tiefer Hoffnungslosigkeit. Vor allem aber ist DEAR WENDY ein Aufschrei junger Menschen, die sich nicht wortlos in unsere Welt integrieren wollen. Ein kleiner Vergleich mit den Tätern von Columbine scheint in manchen Szenen vielleicht sogar angestrebt. Es sind eben jene Menschen, die sich auf der Suche nach Werten und Idealen verlaufen haben und sich selbst welche erschufen. Trotzdem macht es wahnsinnig Spaß, sich in die Welt der Dandies zu begeben. Vielleicht auch, weil man sich in ihrer Gemeinschaft ein wenig sicherer, oder sollte man sagen „geborgener“ fühlt!?

Viele Einzelheiten wurden so überdreht dargestellt, dass ein Augenzwinkern von Vinterberg unübersehbar scheint. Ein paar Mal erreichte er aber auch bei mir den Punkt 0. Kritik an Amerika ist natürlich vorhanden und das sollte man auch gar nicht leugnen. Doch wurde dies nicht wie in so vielen anderen Filmen (auch MANDERLAY, schrecklich) über das Hauptthema gestellt. Die Kritik am "American Way of Life" bleibt Nebenaspekt, und das ist auch gut so. Insgesamt ist der Film eine knallige, einfallsreiche Mixtur aus sehr vielen Komponenten. DEAR WENDY birgt eine immense Kraft. Doch damit belohnt werden nur jene, die bereit sind darauf zu warten. 9/10

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