Dienstag, April 25, 2006
"Das geheime Leben der Worte" - Through the Barricades
Worte benutzt man täglich mehrfach. Man denkt gar nicht mehr über sie nach. Es scheint fast als habe man deren enorme Kraft und Wirkung vergessen. Isabel Coixet schaffte es nun einen Film über genau diese Barriere zu zaubern, der aufzeigt wie man ganze Leben mit einfachsten Mitteln heilt, säubert und verändert: mit Worten.
Hanna (Sarah Polley)geht Tag für Tag auf die Arbeit, isst ihren Reis und ihr Hühnchen, häkelt und schläft. Jeden Tag der gleiche Trott, bis sie von ihrem Chef gezwungen wird ein paar Wochen auszuspannen. Mit der neu gewonnenen Ruhe kann Hanna jedoch recht wenig anfangen, weshalb sie auch die Chance nutzt und gleich wieder in die Arbeit flüchtet. Auf einer Bohrinsel sucht man nämlich übergangsweise eine Krankenschwester, die sich um ein Brandopfer kümmern soll. Der vorerst blinde Josef (Tim Robbins) kann Hanna nicht sehen, doch erschafft er sich durch deren Worte ein eigenes Bild. Nach und nach kommen sich beide näher, erkennen ein paar große Gemeinsamkeiten: Der innere Schmerz und die Unsicherheit, welche es zu erforschen gilt.
Es ist wirklich faszinierend wie Madame Coixet mit Worten umgeht, ihnen Nachhaltigkeit und Anmut verleiht. Josef und Hanna sind sich so wahnsinnig ähnlich, auch wenn diese zu Anfang nicht so scheint. Hanna versucht ihren Schmerz zu verbergen, indem sie nicht spricht und sich aus unserer Welt ausklinkt, Josef überspielt den Schmerz indem er wild drauflos plappert. Es brauch ganz einfach Zeit bis beide ihre Hüllen fallen lassen. Coixet’s Beitrag zur menschlichen Kommunikationsfähigkeit und darüber, dass wir anfangen zu vergessen was Worte bewirken können, hat mich sehr beeindruckt. Fast minimalistisch tastet sich Isabel Coixet an den Kern der Geschichte heran, geht dabei unglaublich liebevoll und behutsam mit ihren Figuren um. Die Wahl der Darsteller erwies sich als goldrichtig: Sarah Polley mimt die stille, introvertierte Hanna oscarreif. Ihr überzeugendes Spiel wirkt zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt oder unglaubwürdig, sie bietet stets eine breite Reflektionsfläche. Tim Robbins hat es da sogar etwas schwerer, da er zu Beginn auf seine Mimik angewiesen ist, bzw. nur auf diese zurückgreifen kann. Zu meiner großen Überraschung gelingt es ihm neben Polley zu bestehen. War er mir auch in vielen seiner Filme unsympathisch (Zuletzt bei WAR OF THE WORLDS), knüpft er hier wieder an seine starken, früheren Leistungen an (JACOBS LADDER, MYSTIC RIVER). Das Spiel und die Harmonie zwischen beiden Akteuren sind wahnsinnig stark.
Urlaub vom Leben, so könnte ein Untertitel des Films lauten. Zwei Seelen die sich irgendwo im Niemandsland auf einer Insel treffen, welche sie sich selbst schaffen. Die Bohrinsel funktioniert perfekt als Auszeit, als Hort der gestrandeten Seelen. Coixet versteht ihr Handwerk, weiß in traumhaften Bildern zu erzählen und den Zuschauer in Fotografien versinken zu lassen. Zusammen mit dem wunderschönen Soundtrack, der so traumhaft eingesetzt wird, entstehen sehr schwermütige Szenen, die sich tief auf der Netzhaut einbrennen. Über zwei Drittel des Films erzählt man mir eine der mit Abstand faszinierendsten Geschichten des laufenden Kinojahres. Selbst mit der schwer verdaulichen Offenbarung Hannas, die vielleicht ein wenig zu brachial ausfiel, könnte ich bestens leben. Leider blendet Isabel Coixet nicht mit dem Verlassen der Bohrinsel aus, sondern führt die Geschichte weiter. Es entsteht ein merkwürdiger Liebesplot, der die gewonnene Sensibilität ein Stück weit demontiert. Die analytischen Worte einer Julie Christie über die geschundene Seele eines vom Leben gebeutelten Menschen ist lobenswert, bringen jedoch den Zuschauer zu keiner Erkenntnis die er nicht auch ohne diesen Monolog erhalten hätte. So bewegt sich DAS GEHEIME LEBEN DER WORTE gegen Ende in einem Strudel aus Sentimentalität, die dem restlichen, so perfekten Filmchen gar nicht steht. Schließlich kann mich Coixet jedoch besänftigen, indem sie eine wunderschöne Schlussszene präsentiert.
Wieder sitzt Hanna still und versunken in Gedanken vor der Kamera. Ein letztes Mal erklingt die imaginäre Stimme, welche uns schon in den Film einführte. Als die letzten Worte ausklingen und das Schlussbild einsetzt, erkennen wir auf einmal die unsichtbare Freundin Hannas. Es jemand den wir alle nur zu gut kennen, und die es uns ermöglicht Hannas Schicksal einen Deut besser zu verstehen, denn auch gegen Schluss wirkt sie auf uns immer noch mystisch und unergründlich. Es ist die Einsamkeit, die immer wieder zu Hanna spricht. Es ist aber auch die Einsamkeit, die am Ende verschwindet.
Isabel Coixet schafft hier stellenweise schon etwas Einzigartiges. Die Inszenierung ist rührend und doch ehrlich, die Essenz wichtig, aber nicht abgedroschen. DAS GEHEIME LEBEN DER WORTE ist deshalb ein sehr gelungenes Drama das vor allem von seinem Darstellergespann Polley/Robbins getragen und vom wunderschönen Soundtrack (Anthony and the Johnsons – „Hope theres someone“, jetzt schon einer DER Songs 2006) zusätzlich beflügelt wird. Wem eine wehmütige Extraportion Gefühlsduseligkeit und Sentimentalität gegen Ende des Films nicht zu viel ist, wird hier ein echtes kleines Kinoperlchen finden. Mich hat DAS GEHEIME LEBEN DER WORTE jedenfalls sehr berührt, sodass ich mich jetzt endlich zu MEIN LEBEN OHNE MICH durchringen kann. 8/10
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11 Kommentare:
Habe gestern Post von Dir bekommen. Dankeschön!! Hat mich wirklich sehr, sehr gefreut. THUMBSUCKER habe ich dann auch gleich mittags eingelegt und ganz angesehen. Sehr toller, sehr skurriler aber doch sehr aufrichtiger, alternativer Coming-of-Age Film. Bin sehr angetan, denn THUMBSUCKER hat Vieles, das mir gefällt. Sehr faszinierende Angelegenheit.
Irgendwann schreibe ich mal ein paar Worte mehr zu diesem Film, aber hier wäre das Off-Topic, denn es geht hier ja um das GEHEIME LEBEN DER WORTE.
Apropos:
Gestern Abend war ich dann noch im Kino und habe mir DAS GEHEIME LEBEN DER WORTE angesehen. Fand es klasse, wie Isabel Coixet sich Zeit nimmt, ihre Geschichte und ihre Figuren ganz behutsam aufzubauen und wie der Film gerade dadurch seine starke Wirkung entfaltet. Besonders angetan bin ich natürlich von der Charakterisierung der Hanna. Eine wahnsinnig gut konzipierte Figur - und von Sarah Polley auch noch emphatisch verkörpert. Wie am Anfang ihr trister Alltag gemächlich illustriert wird, ist ja schon fast schmerzhaft. Man merkt gleich: Diese kaputte Frau trägt schreckliche Geheimnisse mit sich herum. Aber Isabel Coixet spannt einen immer weiter auf die Folter und lässt einen menschlich immer mehr Anteil an den Figuren nehmen, bis irgendwann die krasse Auflösung kommt.
Und, hui, ich hätte ja vieles erwartet, aber dass DAS GEHEIME LEBEN DER WORTE sich am Ende zu einem Antikriegsfilm entwickelt, hätte ich nicht gedacht. Und nichts anderes ist der Film ja: ein Antikriegsfilm, der mal zur Abwechslung nicht den Krieg an sich, sondern "nur" die Auswirkungen/Folgen des Krieges für den Menschen aufzeigt. Und das tut er auf emotional sehr involvierende Weise.
Mir hat gefallen, dass Isabel Coixet als Setting eine Ölbohrinsel wählt (schöne Metapher des Bohrens nach/Zu-Tage-förderns von tief in der Seele der Protagonisten verschlossenen Problemen), weil durch diese Reduzierung auf eine einzige Örtlichkeit, diesen Ausschluss jeglicher Außenwelt das Drama umso intensiver wirkt.
Mit dieser Reduzierung/Konzentration wird dann, wie Du schon schreibst, am Ende gebrochen, als der Film seine Handlung wieder in die richtige Welt ausverlagert. Aber anders als Du fand ich es gelungen, dass gezeigt wird, wie die Beiden nach ihrem "therapeutischen" Aufenthalt auf dem Meer sich im richtigen Leben behaupten müssen. Auch sieht man in den letzten Szenen, dass sie von nun an einen anderen Weg in ihrem Leben einschlagen. Nicht zu vergessen, dass der Besuch in Kopenhagen noch einige essenzielle Informationen zum Verständnis des Charakters der Hanna ("sie schämt sich, dass sie überlebt hat", etc.) nachliefert. Und durch das erneute Vorkommen der Kinderstimme aus dem Off realisiert man erst am Ende richtig, wessen Stimme das eigentlich ist. Also, ich fand das Ende gut und würde, anders als Du, den Film nicht auf der Ölbohrplattform enden lassen.
So, und heute Abend gucke ich dann NOVEMBER. *g*
Herzlichen Dank noch mal für die Scheiben!! *verneig*
freut mich wirklich sehr !!!
du kannst gerne etwas zu THUMBSUCKER unter meinen Beitrag zu CHUMSCRUBBER setzen. beide sind sich doch recht ähnlich, da ist es okay;-)
Schön deine Worte zu Coixet's neuem FIlm zu lesen, mit diesem Antikriegsaspekt hast du mir eine ganz neue ebene geöffnet, da ich die szene immer ein wenig abgetan hatte.
Bin gespannt auf deine Worte zum kleinen NOVEMBER, der entweder total genial ist, oder einfach nur total geisteskrank. kann mch nach einmal sehen noch nicht wirklich entscheiden. fest steht aber das NOVEMBER fasziniert.
So, da man nicht editieren kann, musste ich löschen und noch mal neu ansetzen.
Ich finde NOVEMBER weder geisteskrank noch genial, sondern einfach banal. Es ist ja ein nettes psychologisches Gedankenexperiment, einen Film zu machen, der sich gänzlich im Kopf einer sterbenden Frau abspielt und ihre letzten Gedankengänge für uns visualisiert, als sie - tödlich angeschossen auf dem Boden liegend - die Bewusstseinsstufen "Denial", "Despair" und "Acceptance" durchläuft und schließlich stirbt. So weit so gut.
Aber erstmal ist das (zumindest so plump wie der Film das hier betreibt) nicht sonderlich spannend/interessant und zweitens auch nicht wirklich gewinnbringend oder wichtig (da hätte man mehr aus den 3 Variationen der Geschichte machen müssen, um dem Film Substanz zu verleihen). Was erfährt man denn schon aus den drei gedanklichen Variationen ihrer Geschichte über diese Frau und ihr Leben? OK, man erfährt so Einiges, aber nichts Interessantes und nichts, was einem diese Frau menschlich näher bringen würde.
Vor allem ist das Ganze durchschaubar und fängt nach 30 Minuten an zu langweilen, weil man schon weiß, wie da der Hase läuft (und der Film macht ja seltsamerweise keinen Hehl daraus, sondern bindet es dem Zuschauer die ganze Zeit über auch noch direkt auf die Nase. Warum?).
Ein Film, der in seinen 70 Minuten Laufzeit *nichts* Interessantes zu erzählen hat bis auf die These, dass ein tödlich Angeschossener in seinen letzten Atemzügen die Phasen "Verdrängung"- "Verzweiflung" - "Akzeptieren des eigenen Schicksals" durchläuft. Aber die drei Phasen / die drei Kapitel des Films werden nicht mit gewinnbringendem Inhalt gefüllt.
Gefallen hat mir aber die krasse Acid-Optik der Kamerafrau Nancy Schreiber und die daraus resultierende elektrisierende, psychedelische Atmosphäre. Das fand ich recht prickelnd, aber nach der ersten halben Stunde wollten die redundanten Bilder nicht mehr so recht wirken bei mir. Vor allem aber empfand ich diesen visuellen Stil (angesichts der eben erwähnten Tatsache, dass der Film erzählerisch nichts zu bieten hat) als prätentiös und "too arty for its purpose". Der Film schreit einen die ganze Zeit über regelrecht an: “Ich bin Künstler und hab was zu sagen!” - dabei hat er nichts zu sagen, sondern reitet mit optischen Spielchen ganze 70 Minuten lang eine psychologische These zu Tode, ohne jedoch die in ihr beschriebenen 3 Stufen inhaltlich gewinnbringend abzuhandeln / die Details dieser These sinnvoll zu eruieren. Alles irgendwie halbgar durchdacht, wie ich finde.
Bin aber froh, dass Du mir den Film geschickt hast. So habe ich ihn zumindest mal gesehen und mir ein eigenes Urteil gebildet. Und der Film hat ja auch seine starken Momente, keine Frage. Besonders die erste halbe Stunde rockt. Sehe NOVEMBER so im Mittelfeld, denn er hat lohnenswerte Szenen.
Wie findest Du den Film denn? Und übersimplifiziere ich ihn Deiner Meinung nach? Gibt es da noch etwas, was ich übersehen habe?
Also ersteinmal fand ich Courtney Cox überraschend gut. Spielt das Spielchen schön mit.
Im Grunde sehe ich das ähnlich, nur das ich insgesamt doch recht fasziniert bin/war von der Optik. Mich hat diese den ganzen Film übergetragen, obwohl ich auch die drei Episoden sehr prickelnd fand. Fand das ganze doch sehr clever, bin nämlich bis zur letzten Episode rein garnicht durchgestiegen. Die Geschichte in drei verschiedenen Farben zu erzählen gibt dem ganzen dann noch einen kleinen Kick. Sicherlich macht NOVEMBER ein paar mal sehr unsubtil auf Arthouse & künstlerisch wertvoll, kann ich aber verschmerzen. müsste ihn unbedingt mal ein weiteres mal ansehen. kurz nach dem Sehen empfand ich ihn als eine Art Light-Version eines Lynch-Films.
Muss dir wohl unbedingt den CHUMSCRUBBER zeigen. wird dir zu 90% gefallen, ist wie gesagt dem THUMBSUCKER sehr ähnlich. dennoch keine kopie. ;-)
Wenn ich Deine Worte jetzt richtig interpretiere, siehst auch Du bis auf das Grundkonstrukt der Erzählung keine inhaltlichen Dinge, die ich übersehen haben könnte. Hm, womöglich ist der Film wirklich nur als psychologisches Gedankenexperiments gemeint, welches 70 Minuten lang erzählt, dass eine tödlich Verletzte diese drei Bewusstseinsstufen durchmache. Ich werde mir den Film irgendwann demnächst sicherlich noch mal ansehen und versuchen rauszufinden, was genau jetzt die Intention der Filmemacher ist.
Zustimmen kann ich Dir zu Courtney Cox. Sie hat mich recht positiv überrascht und zeigt hier, dass sie auch eine ernsthaftere Rolle spielen kann.
Durchschaubar fand ich NOVEMBER deshalb, weil er diese Teilung in die einschlägig benannten Kapitel hat, die an diese Stufen-Theorie von Kübler-Ross erinnern (hab da neulich einen kurzen Artikel zu gelesen, dass es laut Kübler-Ross fünf Phasen des Sterbens gebe - von denen drei halt so heißen, wie die Kapitel in diesem Film).
Außerdem habe ich neulich ja STAY gesehen. Und die erste Szene von NOVEMBER erinnerte mich an den Anfang von STAY (jemand liegt verletzt nieder - nur dass es in NOVEMBER halt mit subjektiver Kamera gezeigt wurde). Also habe ich 1 und 1 zusammengezählt.
genau, denke bisher nicht das wir irgendetwas Inhaltliches übersehen haben. finde der film wirkt einfach wie ein kleiner filmstudenten-film. dieser jemand hat sich gedacht er verfilmt mal diese Zustände, bzw. versucht sie zu durchleuchten. fand das ganze sehr sympathisch, denke der reiz liegt hier wahrlich zum größten teil in der ästetik.
Ja, das denke ich auch. Die sehr kreative Optik und überhaupt dieses psychedelische Ambiente sind hier das Entscheidende und Faszinierende. Schade nur, dass diese Dinge den Film nicht wirklich die volle Laufzeit hindurch tragen können.
ähm ja .. ups ... vergessen.
Auch von mir "Danke" für die Post!
@phillip
na aber dann schön Bericht erstatten wie dir DNEVNOY DOZOR gefallen hat ;-)
ich konnte mit dem film nichts anfangen. also schauspielerisch und dramaturgisch auf jeden fall auf sehr hohem niveau. aber es ist einfach nicht mein genre :/
hier noch eine kritik:
http://www.resurrection-dead.de/dailydead/das_geheime_leben_der_worte
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