
Der erste Akt ist vorbei, die Pause setzt ein. An NOCHNOI DOZOR haben sich die Geister geschieden: Für die einen war es ein dunkles, bissiges Fantasy-Spektakel und für die anderen großer, wirrer Bockmist. Ich habe es von Anfang an gehasst, dass Timur Bekmambetov’s Film immer unter dem Aspekt „Nur geliebt weil russisch, weil anders“ betrachtet wurde. Denn so tut man NOCHNOI DOZOR unrecht. Seine wesendlichen Vorzüge sind seine dreckige Moskauer Atmosphäre, seine Konsequenz und seine enorme Vielschichtigkeit, die von einigen auch gerne unter „wirrem Nonsens“ abgetan wurde. Wie dem auch sei, die Pause ist um. Das Publikum muss sich erneut im Theater versammeln, das Licht geht aus und der rote Samtvorhang weicht langsam von der Bühne: Es ist Zeit für den 2. Akt in Sachen NIGHT WATCH, es ist Zeit für das Herz eines jeden Stückes, …das Finale.

DNEVNOY DOZOR beginnt ungefähr ein Jahr nach dem Ende der ersten Hälfte. Der kleine Yegor hat sich für die dunkle Seite entschieden und lebt fort an bei Zavulon, dem Großmeister der Tagwächter, die verwunschene Jungfrau Svetlana arbeitet nun für die Nachtwächter. Anton (Konstantin Khabensky) ergeht es nicht ganz so gut. Um seinen Sohn zu schützen stielt er im Ministerium ein belastendes Beweißstück, worauf eine der Tagwächter stirbt. Es dauert nicht lange bis Anton ins Visier der finsteren Seiten gerät…
Sicherlich werden manche jetzt aufhorchen und klagen, dass man doch etwas mehr erwartet hätte. Diese Nörgler seien beruhigt. DNEVNOY DOZOR bietet eine Vielzahl an Subplots und Sidequests, an denen sich der Zuschauer sattsehen darf. Das Ganze wirkt auf den ersten Blick etwas wirr und unverständlich, doch der aufmerksame Zuschauer wird belohnt. Alle Stränge werden nicht nur angerissen, sondern auch zu Ende geführt. Ich hatte in den letzten 30 Minuten ein wenig Panik: Zieht der Film sich jetzt einfach aus der Affäre? Nein, tut er nicht. Das Ende ist nicht nur verdammt konsequent, es ist auch im höchsten Grade befriedigend. Sicherlich sollte man im gesamten Film ein Auge zudrücken. DNEVNOY DOZOR ist natürlich an vielen Stellen alles andere als realistisch und logisch. Doch das sind Prämissen die ich persönlich erst einmal nicht an einen Film dieser Gattung stelle, sofern dieser nicht selbst den Anspruch darauf erhebt. DNEVNOY DOZOR funktioniert wie sein Vorgänger meist als hervorragender Edel-Trash. Viele Szenen sind so überspitzt und haltungslos dargestellt, enden aber trotzdem mit einem Lächeln. Das macht wahnsinnigen Spaß. Wenn z.B. eine rassige Russin mit ihrem Sport-Roadster horizontal an der Hauswand eines gigantischen Hochhauses entlang braust, schließlich im richtigen Moment bremst und durch die Scheibe kippt, den Gang entlang saust und vor ihrem Chef eine Vollbremsung macht, erhebt dies keinen Anspruch auf Logik oder ähnliches, es wirkt einfach verdammt spaßig. Und das ist ebenfalls etwas, was ich dem Zweiteiler sehr hoch anrechne: Spaß und Leidenschaft.

Auch darf man Timur Bekmambetov nicht mangelnde Konsequenz vorwerfen. Zeugt es doch gerade von dieser, das uns mit dem ersten Akt kein prüdes Erklärfilmchen geliefert hat und auch im zweiten den Sprung ins eiskalte Wasser bevorzugt. Er knallt uns seine fiktive Welt vor den Latz. Findet euch selbst zu Recht oder geht. Er nimmt keinerlei Rücksicht auf seine Zuschauer und erzählt einfach seine Geschichte, wie er sie wahrnimmt. Diese Arroganz darf man natürlich verachten, ich jedoch bin fasziniert von soviel Selbstsicherheit. Zumal in seinem Mystery-Fantasy-Epos genug Platz für gesellschaftlich relevante Themen lässt. DNEVNOY DOZOR ist neben dem breiten Schwarz/Weiß Spektrum auch ein Film über Ausschließung von Minderheiten, Vertrauensbruch, Missgunst oder der Suche nach dem richtigen Miteinander. Ganz deutlich lässt uns das Bekmambetov in den letzten Szenen auf der skurrilen Geburtstagsparty spüren.
Was ist nun explizit der Unterschied zwischen NOCHNOI und DNEVNOY? DNEVNOY ist ein wenig lückenloser inszeniert. Das liegt natürlich auch daran, dass er die Antworten auf die Fragen des ersten Teils liefert. Die Effekte haben sich auch verbessert. Nach dem riesigen Erfolg von NOCHNOI DOZOR hatte man ein größeres Budget zur Verfügung und konnte einzelne CGI-Effekte einfach klarer und optisch impulsiver gestallten. Der Funfaktor wurde ebenfalls nach Oben geschraubt, teils an Hand der Trash-Komik, teils durch die Skurrilität der bizarren Charaktere. Was dem Film zur Gottheit im Fantasygenre fehlt, ist schlicht und ergreifend ein Maß an Ausgewogenheit. Teilweise, und gerade durch die erste Hälfte wirkt der Film ein wenig unausgegoren oder zu hektisch. Doch nehme ich lieber ein eckiges Werk in Kauf als beispielsweise einen aalglatten CONSTANTINE, der es gerade einmal fertig bringt eine gähnend langweilige Nummernrevue aus altbekanntem zu servieren. Wenn man nun auch noch berücksichtigt, dass die DOZOR-Filme nicht einmal ein Zehntel des Budgets zur Verfügung hatten, sind sie eindeutig das gelungenere Projekt, schon alleine weil sie uns nicht mit abgeschmackten Attitüden langweilen wie Hollywoods konventionelles Düsterfilmchen.

Die Darsteller sind erfrischend engagiert. Gerade Konstantin Khabensky liefert eine besonders bodenständige Performance ab, trägt dazu bei das sich der Zuschauer mit seinem Konflikt, der inneren Zerrissenheit, auseinandersetzt. Fürs Auge gibt es dann auch noch Zhanna Friske & Mariya Poroshina, die als Engelchen und Teufelchen agieren. Zhanna ist eine echte Augenweide und jeder Zeit eine Sünde wert, wenn sie in ihrem hautengen Chanel-Kleid durch das Bild stolziert.
Nun ist der Vorhang endgültig gefallen. Die Darsteller haben sich ein letztes Mal verbeugt. Ich bin fest davon überzeugt, dass der 2. Akt bei vielen genauso sauer aufstoßen wird wie der erste. Mein Resümee fällt aber mehr als zufrieden aus. Ich habe nichts Weltbewegendes gesehen, aber den Film eines Regisseurs, der weiß seine eigene Welt zu bewegen. Für mich ist DOZOR ein gelungenes, atmosphärisches und düsteres Fantasy-Highlight, das durch seinen trashigen Charme und seine sehr eigene Art zu überzeugen weiß. Bleibt abzuwarten was Hollywood aus diesem Stoff macht. Eines steht fest: Ein solches Herz wird das Remake nicht besitzen.
NOCHNOI DOZOR:
7-8/10DNEVNOY DOZOR:
8-9/10INSGESAMT;
8/10