Montag, Februar 27, 2006

"Capoté"



“It's as if Perry and I grew up in the same house. And one day he went out the back door and I went out the front.”

Biopic.
Ich kann dieses Wort eigentlich nicht einmal mehr hören. Irgendwann muss doch auch einmal Schluss sein. Vor nicht allzu langer Zeit durften wir uns am tot konservativen WALK THE LINE ergötzen, Ein Ende ist nicht in Sicht. Aber das ist auch gar nicht so schlecht. Wenn am Ende zwischen all den Rohrkrepierern nur eine handvoll solcher Filme herauskommen bin ich zufrieden.

CAPOTÉ ist ein Biopic zum gleichnamigen Schriftsteller. Anders jedoch wie viele seiner Art versucht CAPOTÈ nicht ein ganzes Leben in 2 Stunden Film zu pressen. Er beschränkt sich auf 6 Jahre, die uns dank der meisterlichen Inszenierung aber weitaus mehr über die Hauptperson erzählt als andere Filme. Alles beginnt damit das Truman Capoté (Philip Seymour Hoffman) beim Zeitung lesen auf einen Artikel aufmerksam wird. Irgendwo in einem Nest in Kansas ist ein schrecklicher Mord geschehen: 2 Verbrecher haben eine gesamte Familie hingerichtet. Klar, dass Capoté, der ja immer auf der Suche nach etwas extravagantem ist, sich der Sache annimmt. Zusammen mit seiner Muse Nelle (Catherine Keener) fährt er also los um einen Artikel über die Morde zu schreiben. Als ihm das Ausmaß dieser Katastrophe bewusst wird, will er Kontakt zu den gerade gefassten Mördern aufnehmen und ein Buch über sie schreiben. Sein Meistwerk „Kaltblütig“.


Soviel es über den Film auch zu berichten gibt, fängt man am Besten mit der einen Sache an: Philip Seymour Hoffman. Ich weiß nicht ob ein Darsteller schon mal so mit seiner Rolle verschmolzen ist. Was Mr. Hoffman hier abzieht ist wirklich eine wahre Pracht. Es scheint als habe er das Schauspiel perfektioniert, der Zuschauer ist genauso fasziniert von ihm wie die Upper Class vom damaligen Original. Doch auch der restliche Cast braucht sich nicht hinter Hoffman verstecken, selbst wenn natürlich keiner mit ihm mithalten kann. Catherine Keener mimt die treue Weggefährtin Capotés genau so glaubhaft wie Bruce Greenwood seine bessere, ruhige Hälfte. Wodurch wir auch schon beim einzigen Knackpunkt angelangt wären der mit bei CAPOTÉ übel aufstößt: An verschiedenen Stellen kam es mir so vor als würde sich der Film für die Sexualität der eigenen Hauptfigur schämen. Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht, bin aber zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Auf der einen Seite lässt man gleich zu Begin einen Witz darüber los, außerdem sollte man die Zeit berücksichtigen in der CAPOTÉ spielt…auf der anderen Seite scheut der Film jede (!) emotionale und körperliche Nähe zwischen Truman Capoté und seinem Lebensgefährten, schafft es sogar einen einsäkundige Umarmung sehr beschämt aussehen zu lassen.

Natürlich ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn CAPOTÉ funktioniert in jeder Hinsicht wie ein schweizer Uhrwerk. Besonders hat mir gefallen das der Film mehr Charakterstudie ist als groß angelegte Biographie. Hauptsächlich geht es um das Wesen des Autors, und den inneren Wandel der ihm mit der Entstehung seines Romans widerfährt. Hinter der Fassade des selbst sicheren, arroganten Schriftstellers finden wir einen sehr zerbrechlichen Kern. Regisseur Bennett Miller schafft es den Zuschauer hin und her zureißen. In diesem Moment bewundern wir noch Truman Capotés Fähigkeit jeden Menschen in seinem Bann zu ziehen, im nächsten empfinden wir ihn auf Grund seiner Scheinheiligkeit als abstoßend. Das ist enorm wichtig um uns die Komplexität seines Geistes klar zumachen. Den Gipfel erreicht der Film schließlich in einer wunderbaren Szene: Capoté besucht die beiden Verbrecher ein letztes Mal bevor sie hingerichtet werden. Als er die Sachlage begreift, vor der er sich so lange hatte verstecken wollen, fängt er an zu weinen. Doch es sind nicht nur Tränen der Trauer die über sein Gesicht laufen. Es sind größten Teils Tränen des Hasses, als im klar wird welch ein Heuchler er eigentlich ist. Das sind die Momente im Film, die magischen Momente für die ich Bennett Miller so sehr danke. Er schafft es die meisten Emotionen und Informationen über seine Bilder mitzuteilen. Keine Phrasendrescherei, obwohl das an vielen Stellen der vermeidlich einfachere Weg gewesen wäre.


Ebenso sollte man das perfekte Spiel aus Bildern und Score nicht vergessen. Die meist dunklen Farben vermitteln uns eine sehr kalte Atmosphäre, die wie ich finde perfekt (!) zur Szenerie des erschütterten Kleinstadtidylls passt. Ich konnte mich gar nicht satt sehen und hätte des Öfteren gerne eine Pause-Taste gehabt um das Geschehen der Leinwand anzuhalten und noch länger wirken zu lassen. Die Musik zählte für mich zu den gefühlvollsten seit langem. Man könnte sie ein wenig mit der aus „American Beauty“ vergleichen: So wunderschön sie auch ist, man weiß sofort das sie ein sehr unschönes Ende einleiten wird.

Wer einen nervenaufreibenden Thriller erwartet, wird enttäuscht. CAPOTÉ ist ein langsamer, stetiger Prozess, der seine Thrillerhandlung (selbst wenn diese wirklich spannend ist) eindeutig hinter das Wesen Capotés und die Entstehung seines Buches stellt. Und selbst wenn uns Truman Capoté mit zunehmender Spieldauer dank seines ausgeprägten Egoismus und seiner Selbstverliebtheit immer unbeliebter wird, haben wir am Ende doch so etwas wie Mitleid für diesen Menschen übrig. Es ist genau das passiert, was nie hätte passieren können. Ein Mensch hat es geschafft DEN Truman Capoté aus der Fassung zu bringen. So stark, das er nie wieder zur alten Form zurück finden wird. Ob er den inhaftierten Perry Smith nur ausgenutzt hat, oder ob er sich in ihn verliebt hat, wird nicht hundertprozentig aufgeklärt. Man kann es nur ahnen, ich jedenfalls tippe auf beides.

CAPOTÉ ist eine mehr als beachtenswerte Arbeit für einen Regieneuling, wie Bennett Miller es ist. Die Settings aus Kameraarbeit und musikalischer Untermalung sind wirklich so meisterlich arrangiert, das man das kaum glauben mag. Zudem ist die Story sehr packend, und trägt den Film über die gesamten knapp 100 Minuten ohne jegliche Längen. Das wunderbare Endergebnis verdanken wir aber einem anderen Mann. CAPOTÈ lebt von der phänomenalen Schauspielerleistung Philip Seymour Hoffmans. An diesem Massiv gibt es kein Vorbeikommen, sodass selbst die meisterliche Leistung von Heath Ledger (Brokeback Mountain) bei den diesjährigen Oscars wohl nicht an ihm vorbei kommt. CAPOTÈ ist also ein klares Muss und zählt wahrscheinlich schon jetzt zu den besten Filmen im Jahr 2006. 9/10

5 Kommentare:

Scarlettfan hat gesagt…

Oh ja, CAPOTE muss ich auch sehen. Kommt ja bald in die Kinos. Dann werde ich Deinen Text auch gründlich lesen (habe ihn jetzt nur kurz überflogen, klingt aber vielversprechend).

Lost in Imagination hat gesagt…

CAPOTE könnte dein Herz im Sturm erobern, ernnert der ganze Film vom Stil her doch etwas an die großen FIlme der 70iger Jahre. Bin wahnsinnig gespannt was du sagst.

Marcus kleine Filmseite hat gesagt…

sobald ich den film gesehen habe, melde ich mich hier wieder zu wort. p.s. hoffman ist mir schon seit "magnolia"-zeiten ans herz gewachsen. mir braucht er nicht mehr zu beweisen, dass er ein großer könner seines fachs ist!

Lost in Imagination hat gesagt…

...und selbst mir als Skeptiker hat er es spätestens jetzt knallhart offenbart: Er ist einer der vielleicht besten Hollywoodhauptdarstellern.

Scarlettfan hat gesagt…

So, Text jetzt gelesen. Im Großen und Ganzen kann ich Dir zustimmen, was die Qualitäten dieses Films angeht.
Eine Sache, die ich jedoch anders sehe:
Ich denke nicht, dass Bennett Capotes Sexualität verheimlichen/herunterspielen will. Hätten Capote und sein Lebensgefährte sich in diesem Film dauernd wie wild geküsst, wirkte das ebenso unglaubwürdig wie ein langjähriges Ehepaar, das verliebt ist wie am ersten Tag. Irgendwann ist aus Beziehungen nun mal die Luft raus.
Und bei CAPOTE kommen noch zwei Faktoren dazu:
1.) Der Mann wird von seinem Buch gänzlich vereinnahmt und trägt einen schwierigen inneren Konflikt aus (Perry helfen oder ihn sterben lassen, um ein gutes Ende für das Buch zu haben). Capote, der hier in ein immer tieferes seelisches Loch fällt, denkt doch in dieser Situation nicht im Traum daran, mit seinem Lebensgefährten rumzumachen.
2.) Capote fühlt sich zum Todeskandidaten Perry hingezogen (stärker als zu seinem Lebensgefährten) und knutscht deshalb nicht mit seinem Freund rum.

Es würde also völlig unglaubwürdig wirken, wenn Capote und der Lebensgefährte in diesem Film dauernd rummachen. Warum sollte man das also zeigen?

Ansonsten kann ich Dir in vielen Punkten Deines recht gelungenen Textes zustimmen. Besonders, was Hoffmans Spiel und natürlich auch die tollen Bilder dieses Films angeht. Bin sehr positiv überrascht von diesem Film und würde ihn als zweitbesten Film des Jahres (nach "Cache") bezeichnen.
Habe jetzt in meinem Blog ein paar Zeilen zu CAPOTE geschrieben. Würde mich freuen, wenn Du mal bei Gelegenheit vorbeschauen und Deinen Senf abgeben würdest.